Donnerstag, 20. Juli 2017

Fantasy und ihr Anspruch auf Realismus vs. Unsere Erwartungen

Beim Scrollen durch Facebook entdeckte ich eine Seite, die für die Charaktere aus Game of Thrones Schauspieler herausgesucht hat, die dem tatsächlichen Alter der Charaktere entsprechen, nämlich hier: http://thronesrealm.com/if-9-game-of-thrones-characters-were-played-by-actors-of-their-own-ages/
Reaktion einer Userin: Im Ernst??? Ich meine im Ernst???
Wer liest denn Kinderponos???
Ist das echt so???

Nun erst einmal die harte Wahrheit über die Serie: Ja, die Schauspieler sind älter als die Charaktere und ja, das Aussehen der Charaktere ist zum Teil sehr weichgespült gegenüber G.R.R. Martins Beschreibungen.

Als Autor stellt man nun schnell die Frage nach dem Warum.
Und eine Sache wurde für mich da sehr schnell offensichtlich.12 Jahre in unserer heutigen Welt und 12 Jahre in der sehr mittelalterlichen Welt von Game of Thrones ist ein großer Unterschied. 
In unserer heutigen Welt gilt man mit 12 noch als Kind und das in meinen Augen auch zurecht. Wenn man bedenkt, dass die Lebenserwartung zumindest in den Industrienationen irgendwo um die 80 Jahre herumgammelt, hat man mit 12 auch gerade mal etwas weniger als ein Sechstel seines Lebens gelebt. 
In einer mittelalterlichen Welt beträgt die Lebenserwartung für die Einfachen eher so um die 35 Jahre, womit man mit 12 bereits ein gutes Drittel seines Lebens gelebt hat und damit notgedrungen bereits als erwachsen gelten muss, weil es sonst mit der Reproduktion nicht rechtzeitig hinhaut.
Ich rechne euch das jetzt mal mit meinen eigenen Lebensdaten vor. Ich bin 26 und kinderlos, würde ich in einer mittelalterlichen Welt jetzt mit dem Kinderkriegen anfangen, könnte ich noch neun Kinder in die Welt setzen, wenn ich die durchschnittliche Lebenserwartung lebe und jedes Jahr ein Kind bekomme. Und wenn wir jetzt davon ausgehen, dass neun von zehn Kindern das Erwachsenenalter nicht erreichen, dann hat meine Familie ein kleines Problem. Nämlich die Tatsache, dass wir aussterben. Das sieht ein bisschen besser aus, wenn ich mit 13 oder 14 das erste Kind bekommen hätte, dann wären wir nämlich bei irgendwas um die 15 Kinder, selbst wenn es nicht jedes Jahr geklappt hätte.
Und nehmen wir jetzt einmal an, ich wäre ein Mann. Dann konnte ich mir zwar prinzipiell länger Zeit lassen, weil erstens keine biologische Uhr tickt und zweitens ich zumindest nicht das hohe Risiko habe, bei der Geburt eines Kindes zu sterben. Aber ich brauche auch eine Frau, die ich nicht schon in der ersten Schwangerschaft verliere. Also macht es durchaus Sinn, wenn ich die erste Frau verloren habe, eine möglichst junge Frau zu heiraten, um den Zeitverlust durch den Tod und das Trauerjahr wieder auszugleichen.
Man sieht also, die frühen Heiraten entsprangen nicht fragwürdigen Vorlieben der damaligen Männer sondern dem erbitterten Überlebenskampf, den im Übrigen nicht nur die Einfachen führten. Denn auch adelige Frauen starben im Kindbett. 
Und die Kinder damals wussten, was Sache war. Sie sahen ihre Geschwister an Krankheiten und Unfällen sterben, sie sahen Nachbarn sterben und gerade die Jüngsten einer Familie sahen oft auch die Eltern sterben und wurden von den älteren Geschwistern großgezogen. Solche Praktiken gab es übrigens noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ich kann hier sogar meine eigene Familie als Beispiel anführen: Die Mutter meines Großvaters starb 1918, als mein Großvater vier Jahre alt war und hinterließ sechs Kinder. Sein Vater heiratete erneut und die Frau war jünger, als die ältesten Kinder. Sie bekam ebenfalls sechs Kinder. Nun befinden wir uns hier schon in einer deutlich weiter fortgeschrittenen Gesundheitsversorgung, was mir mütterlicherseits eine riesige Verwandtschaft eingebracht hat. Aber der Gedanke der Absicherung durch die vielen Kinder war selbst zu dieser Zeit noch gegeben.

Nehmen wir jetzt also an, ich wäre ein Kind im Mittelalter. Ich weiß, wie schnell das Leben vorbei sein kann, ich habe vielleicht sogar jüngere Geschwister bereits sterben gesehen. Ich weiß, dass ich früh selbst Kinder haben muss, wenn ich in der Lage sein will, wenigstens einige von ihnen aufwachsen zu sehen und ich weiß auch, was zwischen Mann und Frau so passiert. Vielleicht nicht so direkt, aber ich bin mit dem lieben Vieh aufgewachsen und kenne den Zusammenhang zwischen den Aktivitäten dort und der Geburt von Tierbabys. Ich weiß also, was für mich ansteht. Ich arbeite von Sonennauf- bis Sonnenuntergang sehr hart. Kurz gesagt, ich bin schon lang kein Kind in dem Sinne mehr. Und das schlägt sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch in meiner Erscheinung nieder.
Wenn wir uns einmal in Entwicklungsländern umsehen, dürfte auffallen, dass die Menschen dort häufig für ihr tatsächliches Alter zu alt aussehen.
Und damit haben wir auch den Grund, warum die Schauspieler teilweise doppelt so alt sind, wie die Figuren. Die Darstellerin, die auf der Seite beispielsweise als Altersentsprechung für Arya rausgesucht wurde, ist zwar niedlich, aber viel zu kindlich und zerbrechlich für  die Figur der Arya Stark. 

Die Menschen damals mögen durchaus den körperlichen Standards des entsprechenden Alters entsprochen haben, aber sie waren zwangsläufig geistig älter.
Und damit kommen wir zu einem kleinen Problem, das ich als Autorin habe. Siedle ich eine Geschichte in einem solchen Setting an, stehe ich vor der Frage, welchem Realismus ich folge. Folge ich dem unserer modernen, westlichen Welt und passe das Alter der Charaktere entsprechend an oder folge ich dem des Settings und setze mich der Gefahr aus, dass die Leser meine Charaktere viel zu jung finden, oder dass ein Roman gar als Kinderbuch eingestuft wird, der gar keines ist?
Wie handhabt ihr diese Zwickmühle? Postet das doch bitte in die Kommentare, es würde mich wirklich interessieren.